Grundlage einer neuen Reformpolitik?
Die gemeinsame Bearbeitung der eigenen Arbeit – zum Beispiel in der Teamarbeit
Neue produktive Fähigkeiten der Beschäftigten sind der Schlüssel für die Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen
Einleitung
Die folgenden Überlegungen sollen einen Vorschlag für eine Reformpolitik begründen, die in eine demokratische Zukunft führt. Dabei spielen Fähigkeiten der Kolleginnen und Kollegen in der Arbeit eine wesentliche Rolle. Diese Fähigkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und werden in den Unternehmen genutzt, um im globalisierten Wettbewerb, also im Weltmaßstab Gewinne zu steigern bzw. zu halten. Aber diese Fähigkeiten lassen sich auch für eine demokratische Zukunftsperspektive nutzen. Dafür bedarf es zunächst der eignen Erkenntnis dieser Fähigkeiten. In einem weiteren Schritt sind zur Organisierung politische Initiativen notwendig, um in einer Art Meilensteinplan mit Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. (Diese Formulierung ist weder dem Umfang noch der Sache nach ausreichend erarbeitet. Daher ist Kritik in jeder Hinsicht willkommen). Allerdings sollte man nicht als erstes auf die Finanzierbarkeit gehen, oder auf die Tatsache, dass es sich um ein „Wunschkonzert“ handelt – was in gewisser Weise stimmt. Wichtiger wäre meines Erachtens die Frage, ob es in die richtige Richtung geht. Dass die Finanzierung und die etwaige Umsetzung ggf. neue Herausforderungen schaffen wird, ist sicher richtig. Das wird aber zu einer Schere im Kopf, wenn man alle Überlegungen als erstes misst.
Die Produktivkraftentwicklung in der Gegenwart
Wer heute in eine Fabrikhalle geht, der wird dort in der Regel Bildschirme sehen, auf denen sich eine Reihe von Kennzahlen befinden, die in Relation zu Sollwerten notiert werden. Solche Kennzahlen richten sich an die Beschäftigten. Diese sollen sich in der Reflexion ihrer Zusammenarbeit an der Differenz zwischen „Ist“ und „Soll“ orientieren. Sollte ihre gemeinsame Leistung die Normwerte – in welchem der angeführten Bereiche auch immer – unterschreiten, so haben die Kolleginnen und Kollegen Konsequenzen zu ziehen. Dabei werden in den Kennzahlen verschiedene Aspekte erfasst, die die Beschäftigten berücksichtigen sollen. Welche Konsequenzen zieht das Unterschreiten der Kennzahlen nach sich?
Die Kolleginnen und Kollegen reflektieren ihre gemeinsame Arbeit und Zusammenarbeit, diskutieren Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten. Sie sollen aus der Sicht des Unternehmens ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit verändern, um die Normwerte in Zukunft zu erreichen. Werden diese allerdings erfüllt, so hat das in der Regel zur Folge, dass die Normwerte erhöht werden. So stellen die Unternehmen nicht nur permanent höhere Anforderungen an die Kolleginnen und Kollegen. Dies hat auch zur Folge, dass die Beschäftigten immer wieder die Arbeit und die Zusammenarbeit bewerten und bearbeiten, um diese erhöhten Anforderungen zu erfüllen. Da diese Bearbeitungsschritte aufeinander aufbauen, ergibt sich eine Weiterentwicklung der Arbeit und der Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen – allerdings (bisher) im Interesse der Arbeitgeber.
Die Bildschirme sind aus der Sicht des Unternehmens eine Hilfestellung für die Kolleginnen und Kollegen. Sie zeigen an, wo die zusammenarbeitenden Mitglieder eines Teams im Verhältnis zu den Erwartungen der Unternehmensleitung stehen. Aus der Sicht der Kolleginnen und Kollegen handelt es sich bei den Bildschirmen und den dort abgebildeten Wert um die Frage, welche Aspekte der Zusammenarbeit vom Unternehmen qualitativ als so relevant betrachtet werden, dass die Zusammenarbeit unter diesem Gesichtspunkt reflektiert und bearbeitet werden soll. Die Tafeln formulieren aber auch quantitative Anforderungen, also Zielvorgaben, an die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen.
Das Unternehmensinteresse besteht darin, steigende Gewinne mit dem Verkauf der Produkte oder Dienstleistungen der kooperierenden Kolleginnen und Kollegen zu machen. Die Steigerung des Gewinns ist in der Vorstellung unendlich möglich. Aber die Gewinnerwartungen müssen in Kennzahlen übersetzt werden, die mit Aspekten der konkreten Arbeit zusammenhängen (Unfallfreiheit, Ausfalltage aufgrund von Krankheit, Durchlaufgeschwindigkeit, Just in time Produktion, Kundenzufriedenheit etc.). Die Unbegrenztheit der möglichen Gewinnerwartungen drückt sich in immer wieder erhöhten und spezifischeren Kennzahlen aus. (Daher ist es auch nicht allein entscheidend, dass die Kennzahl erreicht werden kann. Die Kennzahl „Null Fehler“ ist an sich unerreichbar. Dennoch wird sie in vielen Unternehmen nicht nur verfolgt, sondern ist auch wirksam: Sie macht Druck auf die Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit, vor allem im Zusammenhang mit anderen Kennzahlen, die sich auf die Zeitdauer bestimmter Arbeitsschritte beziehen.) Bei der Entfaltung des Drucks auf die Kolleginnen und Kollegen kommt es daher auf die Verbindung der Aspekte an, die in den Kennzahlen zum Ausdruck kommen. Werden etwa reduzierte Zeitvorgaben gemacht, so besteht die Gefahr der Überforderung, die zu Unfällen oder Krankheiten führen kann. Deswegen wird dann eine zweite Kennzahl eingeführt, die die Unfallhäufigkeit und die Ausfalltage aufgrund von Krankheit zu einem Gesichtspunkt der Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit macht. Es lassen sich viele solche Gesichtspunkte denken, unter denen die gemeinsame Arbeit reflektiert und bearbeitet werden kann. Diese Gesichtspunkte können sich auch durchaus widersprechen. In kapitalistischen Unternehmen ist der Zusammenhang dieser Gesichtspunkte darin zu suchen, dass die konkrete Arbeit und Zusammenarbeit so zu organisieren ist, dass das Produkt oder die Dienstleistung auf dem Markt gegen Gewinn zu verkaufen ist. Gelingt das nicht, so wird der entsprechende Bereich auf die Dauer aus dem Unternehmen ausgeschlossen. So bleibt die Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit von den Unternehmen dominiert und beherrscht. Die Beschäftigten ordnen sich bei der Bearbeitung der eigenen Arbeit den Unternehmen unter und setzen unternehmerische Funktionen – gegen andere, gegeneinander und gegen sich selbst durch. Worum handelt es sich bei den unternehmerischen Funktionen?
Unternehmen vermitteln zwischen den gesamtgesellschaftlichen Anforderungen an die Produktion, soweit sie als zahlungskräftige Nachfrage auf dem „Markt“ auftreten, einerseits und der gemeinsamen Arbeitstätigkeit der Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen andererseits. Es handelt sich dabei um zwei Aspekte der gesamtgesellschaftlichen Produktion im Kapitalismus, in dem das Produkt von den Eigentümern der Produktionsmittel privat angeeignet wird. Nehmen die Beschäftigten „Unternehmerfunktionen“ wahr, so beschäftigten sie sich mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit und Zusammenarbeit im Unternehmen. Einerseits soll das Produkt ihrer Arbeit oder die Dienstleistung auf dem Markt verkäuflich sein, d.h. eine gesellschaftliche (und zahlungskräftige) Nachfrage bedienen. Andererseits soll die gesellschaftliche Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen so beschaffen sein, dass sie steigende Gewinne für die Unternehmen einbringt. Nur wenn beides gelingt, ist die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Sinne des kapitalistischen Unternehmens sinnvoll. In der Arbeit selbst kommen diese beiden Aspekte der Gesellschaftlichkeit der Arbeit zusammen. Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Arbeit im Unternehmen auseinandersetzen, dann befassen sie sich – mittelbar oder unmittelbar – mit diesen Aspekten ihrer gemeinsamen Arbeit, also mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit – wenn auch nach Maßgabe des Unternehmensgewinns. Dieser und die Überlebensfähigkeit des Unternehmens stellen also den Maßstab dar, an dem die Kolleginnen und Kollegen in der kapitalistischen Produktionsweise von vorneherein ihre Arbeit und Zusammenarbeit messen müssen.
Die Beschäftigten nehmen also zunächst oder unmittelbar die Perspektive des Unternehmens ein, wenn sie sich mit ihrer Arbeit und ihrer Zusammenarbeit auseinandersetzen. Damit stellen sie sich die Frage, wie ihre Arbeitstätigkeit mit der gesamtgesellschaftlichen – und im Moment globalen – Arbeitstätigkeit zusammenhängt, wie sie darin „verortet“ ist, wie die Soziologen sagen. Dieser Zusammenhang wird in einer kapitalistischen Produktionsweise durch die Profitabilität von selbst hergestellt. Je mehr die Beschäftigten diese Unternehmerfunktionen übernehmen, desto mehr verlieren die Unternehmen auch die unmittelbare Kontrolle über die Produktion. Denn diese liegt nun mehr und mehr in der Hand der Beschäftigten. Die Kennzahlen dienen also auch dazu, diese Kontrolle (eher äußerlich, mittelbar) zu erhalten.
Dabei entwickeln sich jedoch Fähigkeiten der Beschäftigten, die sich keineswegs auf den Unternehmenszweck reduzieren lassen. Wenn die Beschäftigten neue Produkte entwickeln und deren Produktion planen, wenn sie die Zusammenarbeit immer wieder reflektieren, besprechen und mittels neuer Initiativen verbessern, wenn sie neue Formen der Kooperation entwickeln, dann sind das Fähigkeiten, die nicht auf die kapitalistische Produktionsweise eingeschränkt bleiben müssen. Sie haben auch in Gesellschaften ihren Platz, deren Produktion nicht durch kapitalistische Unternehmen bestimmt ist.