Der zweite nützliche Irrtum: Die Beurteilung der Zeitverwendung

Aus die gegenwart begreifen
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Der zweite nützliche Irrtum: Die Beurteilung der Zeitverwendung

Der Versuch, alle Anforderungen an mich zu erfüllen, kann und muss scheitern, weil es eigentlich unendlich viele Anforderungen gibt. Alle Anforderungen kann ich nicht bedienen, ohne völlig außer mir zu geraten. Der Weg in die Erschöpfung wäre vorprogrammiert. Ich muss also lernen, zu entscheiden, welche Anforderungen ich erfüllen will und welche nicht. Diese Entscheidung kann ich nicht mit den Mitteln treffen, die ich anwende, um meine Zeit möglichst effektiv einzusetzen. Denn beim Zeitmanagement geht es darum, meine Zeit so zu nutzen, dass ich möglichst viele Anforderungen erfüllen kann, obwohl ich nur begrenzt Zeit habe.

Jetzt geht es nicht um die Frage, wie ich mit meiner Zeit umgehe, sondern um die Frage, was ich in meiner Zeit sinnvoll machen sollte, und wofür ich überhaupt keine Zeit aufwenden sollte. Viele Menschen scheinen Dinge zu treiben, die absolut sinnlos sind. Früher - in der Zeit meines Examens - habe ich zum Beispiel viel gezappt. Zappen ist offenbar so ein völlig sinnloses Verhalten. Es ist nicht abwegig zu sagen: "Wenn Du so deine Zeit verschwendest, dann ist es kein Wunder, wenn Du unter Druck kommst." Diese Haltung mag durchaus richtig sein. Aber sie ist es nur zur Hälfte. Denn damals war ich in meinem Examen so in Gedanken, dass es mir schwer fiel, "herunterzukommen", wie man sagt, d.h. mich so zu beruhigen, dass ich schlafen konnte. Um schlafen zu können, meinte ich, zappen zu müssen. Heute brauche ich das nicht mehr. Und dennoch weiß ich, dass es mir damals nicht möglich gewesen wäre, unmittelbar zu entspannen und zu schlafen.

Man könnte nun sagen: Wer seine Zeit so vergeudet, der verwendet sie falsch. Ich sollte - so könnte ich denken - in dem, was ich in meiner Zeit tue, auch zum Ausdruck bringen, dass meine Zeit wertvoll ist. Vielleicht wäre das möglich. Ich müßte dafür aber mehr Einfluss auf meine Zeitgestaltung gewinnen. Ich müßte, wie das in einer Reihe von Büchern heißt, "meinen innneren Schweinehund" überwinden. Ich muss, wenn ich dies tue, mit einem inneren Widerstand rechnen, vor allem mit dem Widerstand der Gewohnheiten, die mir ans Herz gewachsen sind. Dieser Widerstand sollte - wenn es nach der Zeitbeurteilung geht - überwunden werden. Die Zeitbeurteilung hat den Sinn, Zeitvergeudung als schlecht oder mangelhaft zu verurteilen.

Auf diese Weise trenne ich mich von mir selbst: Ein Teil verbringt seine Zeit angeblich falsch. Ein anderer Teil von mir selbst verurteilt diese Zeitverschwendung. Über diese Trenung von mir selbst gilt es nachzudenken. Die eine Seite dieser Trennung ist klar: Das ist meine Leben, wie es sich unter dem Gesichtspunkt der Zeitbeurteilung darstellt. Der andere Teil, das Ich, das die Zeitverwendung beurteilt, das ist merkwürdig unklar.

Wer bin ich selber?