Wie stellen sich die Unternehmen auf die neuen Produktivkrafte ein: Indirekte Steuerung und Prekarität

Aus die gegenwart begreifen
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Die vorherrschende Tendenz in den Unternehmen ist die sogenannte indirekte Steuerung, d.h. der Versuch die Beschäftigten dafür zu „gewinnen“, dass sie ihre Fähigkeiten möglichst umfassend für den Erfolg des Unternehmens einsetzen. Es kann hier nicht darum gehen, die indirekte Steuerung insgesamt darzustellen. Wesentliche Merkmale müssen aber kurz angeführt werden: Die Unternehmen passen sich mit der indirekten Steuerung der Beschäftigten an neue – meines Wissens 1936 empirisch „entdeckte“ – Fähigkeiten der Lohnarbeitenden an, nämlich ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit zu verbessern, weiterzuentwickeln, zu „optimieren“, wie das im Management-Deutsch heißt. Sie tun das, indem sie mittels Dezentralisierung des Unternehmens und Parzellierung der Belegschaften einen unternehmensinternen Markt schaffen, der den externen, gesamtgesellschaftlichen Markt im Unternehmen abbildet. In den dezentralisierten ökonomischen Einheiten übernehmen die Beschäftigten gemeinsam die Unternehmerfunktion; d.h. sie übersetzen das, was der unternehmensinterne Markt von ihnen verlangt, in das, was sie wollen, dass geschieht. [1]

  Und dann setzen die Beschäftigten diese gemeinsam gefassten unternehmerischen Beschlüsse mit der Macht der Gruppe gegen die Mitglieder der Gruppe durch. So werden die individuellen Beschäftigten mit der Macht der Gruppe für den Unternehmenszweck „gewonnen“. (Diese von der Arbeits- und Organisationspsychologie erarbeiteten Prozesse sind den Beschäftigten nicht bewusst und sollen auch unbewusst bleiben. ) Die Voraussetzung dieser Form der Arbeitsorganisation ist die Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit und Zusammen-arbeit durch die Beschäftigten selbst in den Unternehmen. Das Kriterium dieser Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit ist die Profitabilität der gemeinsamen Arbeit für das Unternehmen. Wenn etwa eine Unternehmensleitung beschließt: Was nicht mindestens 30% Profit bringt, das macht dieses Unternehmen nicht – oder nur, wenn wir erwarten können, dass eine solche Profitrate demnächst realisiert wird – wenn also eine Unternehmensleitung so etwas beschließt, dann kommen die Beschäftigten dieses Unternehmens in eine Situation, in der sie sich für die Profitabilität ihrer gemeinsamen Arbeit und Zusammenarbeit vor ihrem Unternehmen rechtfertigen müssen. Gesetzt den Fall, das wäre so, dann könnte man festhalten: Die Produktivkraftentwicklung, von der wir reden, besteht – jedenfalls unter anderem – darin, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit gemeinsam bearbeiten. (Es versteht sich von selbst, dass ich hier nicht von irgend-welchen Ausnahmen oder hochqualifizierten Beschäftigten rede, sondern von der vorherrschenden Tendenz sowohl in der Produktion wie bei den sogenannten „indirekten Beschäftigten“.) Zugleich organisieren die kapitalistischen Unternehmens-leitungen die Arbeit in ihren Unternehmen so, dass diese Bearbeitung der eigenen Arbeit und der Zusammenarbeit nach Maßgabe der Profitabilität der Unternehmen erfolgt. Die Beschäftigten setzen sich mit anderen Worten mit ihrer Arbeit und ihrer Zusammenarbeit unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der Profitabilität auseinander und entwickeln sie so weiter. 
  1. Die sogenannten „Governance“-Überlegungen zielen auf die so organisierte „freiwillige“ Unterwerfung unter das Kapitalinteresse. Die Freiwilligkeit beruht aber auch auf Unwissenheit. Sie kann daher nicht im eigentlichen Sinne ernst genommen werden. Was allerdings ernst genommen werden muss, ist die Bereitschaft der Sozialwissenschaften, zu dieser freiwilligen Unterwerfung beizutragen und sie zu verbreiten. Denn dieser Mangel an Selbstkritik wirkt so, als sei er tatsächlich freiwilig im eigentlichen Sinne.