Sprechen und Denken: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 10. Februar 2021, 21:42 Uhr
Im letzten Jahrhundert wurde der sogenannte "linguistic turn" ausgerufen, die sprachkritische Wende. Die Umgangssprache wurde wegen ihrer mangelnden Präzision kritisiert. Man bemühte sich um Kriterien der Rationalität in der wissenschaftlichen Sprache. Dazu wurde vor allem die Sprachanalyse und die formale Logik herangezogen. Dieses Unterfangen sollte zunächst logisch streng durchgeführt werden, später wurde es immer weiter aufgeweicht, bis es sich schließlich ganz aufgelöst hat. Die Sprachkritik lebte von dem Gedanken, dass es eine Sprache gebe, die exakt sei und die ihren Inhalt exakt ausdrücke. Demgegenüber erschienen Philosophinnen und Philosophen als naiv, die der Meinung waren, dass es Gedanken gebe, die sich sprachlich nicht exakt ausdrücken ließen, ja dass genau genommen alle Gedanken, die diesen Namen verdienen, sich sprachlich nicht exakt ausdrücken lassen, sich aber dennoch hinreichend klären lassen.
Einer solchen Naivität machen sich die folgenden Zeilen schuldig. Die hier vertretene These lässt sich leicht dahin zusammenfassen, dass es durchaus nicht möglich ist, Gedanken in dem sprachkritischen Sinne exakt sprachlich darzustellen, dass es aber durchaus möglich ist, Gedanken exakt zu formulieren, wenn man in der Sprache die Grenzen der Sprache überschreitet. Das hat daher weder etwas mit Mystik zu tun noch mit Irrationalität. Es handelt vielmehr um eine Logik der Wirklichkeit, d.h. um eine sprachliche Darstellung der Probleme, die mit der Erfassung der Wirklichkeit logisch verbunden sind.
Wir nehmen ein einfaches und in der Sprachphilosophie weit verbreitetes Beispiel: Die Erde ist kleiner als die Sonne. Dieser einfache Satz ist klar formuliert und es ist kein Problem daran zu erkennen. Aber er trifft die Wirklichkeit dessen was beschrieben ist, nicht oder nur einseitig. Denn diese Formulierung beschreibt dasselbe Verhältnis wie der Satz: Die Sonne ist größer als die Erde. Wir hätten also zwei Sätze, die jeweils einseitig das Größenverhältnis beschreiben, um das es sich handelt. Diese zwei Sätze beschreiben das Größenverhältnis zwischen zwei ungleichen Gegenständen. Deswegen fällt uns die Einseitigkeit direkt auf. Denn aus der Sicht der Sonne ist die Erde kleiner als die Sonne. Aus der Sicht der Erde ist die Sonne größer als die Erde. Wir haben also zwei Beschreibungen für ein und dasselbe Verhältnis der beiden Gegenstände. Beide Beschreibungen beschreiben das ganze Verhältnis aus jeweils einer entgegengesetzten Perspektive. Im Widerspruch zu dem einen und demselben Verhältnis haben wir zwei einseitige Beschreibungen, die nur zusammen dasselbe Verhältnis ausdrücken können. Aber dann erscheint das eine Verhältnis als zwei Verhältnisse, je nachdem es aus der einen oder der anderen Perspektive gesehen und formuliert ist. Es ist also ebenso sehr keine der beiden Formulierungen diejenige, die das Verhältnis als solches sprachlich ausdrückt. Das Größenverhältnis sprengt also seine sprachliche Beschreibung, indem es zwei einseitige Beschreibungen ebenso erfordert wie verneint. Diesen Zusammenhang hatte schon Platon analysiert.